„The deepest principle in human nature is the craving to be appreciated” (James, 1920)
Eine repräsentative Umfrage im Auftrag von Österreichs größtem Jobportal karriere.at (2022) unter rund 500 Erwerbstätigen in Österreich ergibt, dass Wertschätzung im Beruf für 89 Prozent aller Befragten sehr wichtig ist. Für eine große Mehrheit ist also eine anhaltende anerkennende Haltung, die sich durch aufrichtiges Interesse, Freundlichkeit und Aufmerksamkeit für andere auszeichnet, zu einer unverzichtbaren Notwendigkeit in der Wahl ihres Arbeitsplatzes geworden. Weiters befriedigt Wertschätzung das grundlegende menschliche Bedürfnis nach sozialen Bindungen. Als besonders wichtige Quelle von Wertschätzung im beruflichen Umfeld zählen dann Vorgesetzte, Kolleginnen und Kollegen sowie Kundinnen und Kunden.
Wertschätzung erhöht Wohlbefinden, Gesundheit und Motivation – auch am Arbeitsplatz
Die positiven Effekte von Wertschätzung am Arbeitsplatz sind vielfältig und gut belegt. Studien (beispielsweise von Ohly & Schmitt, 2013; Pfister et al., 2020; und Sagstetter, 2019), die Wertschätzung als positives Phänomen untersuchen, zeigen, dass Wertschätzung für Wohlbefinden, Gesundheit und Motivation von großer Bedeutung sein kann. Wenn also Leistungen oder Tätigkeiten anerkannt werden, kann sich dies über einen positiven Gefühlzustand auf das gesamte Arbeitsergebnis auswirken. Demnach erhöht Wertschätzung Erfolgsgefühle und reduziert gleichzeitig negative Gefühle wie Ärger oder Enttäuschung. Dies führt in weitere Folge zur einer höheren Arbeitszufriedenheit. Auf emotionaler Ebene erleben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im beruflichen Alltag mehr Enthusiasmus und Gelassenheit, weniger Frustration und geringere Erschöpfung, wenn sie Anerkennung in Form von Lob und positivem Feedback erfahren.
Fehlt die Wertschätzung am Arbeitsplatz, steigt das Burnout-Risiko
Mangelnde Wertschätzung wird oft als Missachtung und Herabwürdigung durch andere erlebt. Das kann direkt im sozialen Miteinander oder indirekt durch die Zuweisung unzumutbarer oder unnötig empfundener Aufgaben auftreten. Die Folge sind negative Auswirkungen wie geringes Selbstwertgefühl, Burnout und Gefühle der Feindseligkeit gegenüber dem eigenen Unternehmen. Die rasante Digitalisierung der Arbeitswelt macht die Vermittlung von Wertschätzung oft schwieriger als im herkömmlichen Bürosetting. Homeoffice und Remote Work schränken offenen und emotionalen Dialog auf Augenhöhe ein.
Die Bedeutung von Wertschätzung greift auch die Novelle zum Arbeitnehmer:innenschutzgesetz (ASchG) auf. Seit 2013 ist es Pflicht für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, psychische Belastungen am Arbeitsplatz als mögliche Gefahr zu bewerten. Neben Belastungen durch das Organisationsklima wie Informations- und Kommunikationsmängel und ungenügendem Handlungsspielraum wird auch mangelhafte soziale Unterstützung und Wertschätzung durch Vorgesetzte beziehungsweise Kolleginnen und Kollegen als Risikofaktoren anerkannt.
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Die Sprachen der Liebe als Schlüssel zur Wertschätzung am Arbeitsplatz
Im beruflichen Umfeld gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Wertschätzung zu zeigen und in die Praxis umzusetzen. Ein Ansatz, der insbesondere in der populärwissenschaftlichen Literatur Beachtung gefunden hat, sind die fünf Sprachen der Liebe von Gary Chapman (1992). Ursprünglich für romantische Beziehungen entwickelt, beschreiben sie fünf verschiedene Arten, Liebe auszudrücken: anerkennende Worte, Zeit zu zweit, Hilfsbereitschaft, Geschenke und körperliche Nähe. Wenn Sie beispielsweise Ihre Zuneigung durch Hilfe und Unterstützung ausdrücken, erwarten Sie in der Regel, dass dies in derselben Form erwidert wird, um sich geliebt zu fühlen. Konfliktpotenzial kann dabei auftreten, wenn unterschiedliche Liebessprachen gesprochen werden.
Diese Idee lässt sich auch auf die Arbeitswelt übertragen, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kolleginnen und Kollegen ebenfalls unterschiedliche „Sprachen“ sprechen. Was als wertschätzend empfunden wird, variiert individuell stark. Während die eine Person sich über eine Einladung zum Essen von der Chefin freut, schätzt die andere möglicherweise ein einfaches, aber konkretes Wort des Dankes.
Die fünf Sprachen der Wertschätzung am Arbeitsplatz
1. Anerkennende Worte (words of affirmation)
Ein „Gute Arbeit!“ ist ein guter Anfang, aber die Art und Weise, wie Sie Anerkennung ausdrücken, kann noch ausgebaut werden. Je vager Ihre Aussage ist, desto mehr verliert sie an Bedeutung und Wirkung, besonders über die Zeit hinweg. Seien Sie konkret und heben Sie einen spezifischen Aspekt der Leistung einer Person hervor. Zum Beispiel könnten Sie an eine Kollegin gerichtet sagen: „Vielen Dank für deine Unterstützung bei der Einarbeitung des neuen Mitarbeiters. Dadurch ist er bestens für das kommende Projekt gerüstet.“ Überlegen Sie auch, wie Sie die Botschaft übermitteln (mündlich oder schriftlich) und, ob der Empfänger oder die Empfängerin öffentliche oder private Komplimente bevorzugt.
2. Zeit zu zweit (quality time)
Nehmen Sie sich Zeit und geben Sie Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Vermeiden Sie es, geplante Besprechungen für vermeintlich „dringendere“ Dinge zu verschieben. Statt selbst zu sprechen, hören Sie aufmerksam zu. Zeigen Sie Interesse an Ihrem Gegenüber und den vorgebrachten Ideen. Gelegentliche gemeinsame Mittagessen oder Kaffeepausen können ebenfalls dazu beitragen, diejenigen zu erreichen, die Wert auf gemeinsame Zeit legen. Qualitätszeit ist dabei nicht nur auf eine Person beschränkt, sondern kann auf mehrere Personen erweitertet werden, zum Beispiel in Form von Team-Meetings, um die Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu hören oder gemeinsame Team-Events, um sich außerhalb des Arbeitsalltags besser kennenzulernen.
3. Hilfsbereitschaft (acts of service)
Wenn ein Kollege gerade unter einer enormen Arbeitsbelastung leidet, erscheint ein Nachmittag im Escape Room möglicherweise nicht als sinnvolle oder wertschätzende Option. Einem überforderten Kollegen könnten Sie aktiv Ihre Unterstützung anbieten, indem Sie sagen: „Du hast offensichtlich gerade viel zu tun. Wie wäre es, wenn ich die Vorbereitungen für die Präsentation nächste Woche übernehme?“ Dadurch, dass Sie eine Aufgabe tatsächlich übernehmen und möglicherweise jemanden entlasten, zeigen Sie, dass Sie die geleistete Arbeit nicht nur mit Worten, sondern auch konkreten Taten anerkennen. Fragen Sie jedoch zuerst, ob ihre Unterstützung auch erwünscht wird.
4. Geschenke (gifts)
Bei materiellen Geschenken steht nicht der finanzielle Wert im Vordergrund, sondern die Geste. Geschenke müssen nicht kostspielig sein, sollten aber an die Beschenkten angepasst sein. Was sind die Lieblingsspeisen Ihrer Kolleginnen und Kollegen? Mit welcher Musik und mit welchen Filmen und Büchern vertreiben sich Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerne die Zeit? Wenn Sie wissen, dass eine Kollegin den Kaffee aus dem kleinen Laden um die Ecke besonders gerne trinkt, dann nehmen Sie ihr doch einfach beim nächsten Mal einen mit.
Ein Beispiel von vieconsult: Zu jedem Geburtstag einer Kollegin oder eines Kollegen schickt die Person, die vor dem aktuellen Geburtstagskind Geburtstag hatte, eine persönliche Postkarte. Diese Geste mag zwar klein sein, aber sie ist gleichzeitig ein Ausdruck unserer gegenseitigen Wertschätzung und Verbundenheit im Team.
5. Angemessene körperliche Nähe (physical touch)
Körperliche Berührungen sind in den meisten Familien und unter Freundinnen und Freunden ein natürlicher Ausdruck der Liebe, aber nicht am Arbeitsplatz. Berühren Sie niemanden, der/die nicht berührt werden möchte! Für Personen, die sich durch angemessene körperliche Nähe wertgeschätzt fühlen, ist es wichtig, Grenzen zu respektieren. In der westlichen Welt werden Gesten wie ein Händedruck oder ein High Five im Allgemeinen akzeptiert. Am Arbeitsplatz kann es ausreichen, einer Person auf die Schulter zu klopfen oder ihm/ihr auf den Rücken zu tippen, um Anerkennung für die geleistete Arbeit zum Ausdruck zu bringen.
Ohne Feedback, keine Wertschätzung
Die Förderung von Wertschätzung am Arbeitsplatz ist von entscheidender Bedeutung. Dies kann am besten durch die Einführung wertschätzender Maßnahmen und die Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungskräften erreicht werden. Dabei ist laufendes Feedback ein wichtiger Eckpfeiler, um den aktuellen Stand und die Bedürfnisse innerhalb des Unternehmens in Bezug auf Wertschätzung im Arbeitsumfeld zu verstehen.
Als Expertinnen und Experten für Mitarbeiterbefragungen und 360-Grad Feedbacks begleiten wir Sie bei der Bewertung Ihrer aktuellen Wertschätzungskultur im Unternehmen.
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Quellen und Literaturtipps
Deci, E. L. & Ryan, R. M. (2000). The “what” and “why” of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior. Psychological Inquiry, 11, 227-268. https://doi.org/10.1207/S15327965PLI1104_01
Grant & Gino (2010). A little thanks goes a long way: Explaining why gratitude expressions motivate prosocial behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 98(6), 946-955. https://doi.org/10.1037/a0017935
Jacobshagen, N. & Semmer, N. (2009). Wer schätzt eigentlich wen? Kunden als Quelle der Wertschätzung. Wirtschaftspsychologie, 1, 11-19. 10.7892/boris.34118
James, H. (1920). The letters of William James. Boston: Atlantic Monthly Press.
karriere.at (2022). karriere.at-Studie: Jede*r dritte Berufstätige in Österreich bereit für Jobwechsel. Karriere.at. https://www.karriere.at/presse/karriere-at-studie-jobwechsel
Ohly & Schmitt (2013). What makes us enthusiastic, angry, feeling at rest or worried? Development and validation of an affective work events taxonomy using concept mapping methodology. Journal of Business and Psychology, 30, 15-35. https://doi.org/10.1007/s10869-013-9328-3
Maslow, A. (1968). Toward a psychology of being. New York: Van Nostrand Reinhold Co.
Pfister et al. (2020). How does appreciation lead to higher job satisfaction? Journal of Managerial Psychology, 35(6), 465-479. https://doi.org/10.1108/JMP-12-2018-0555
Raab-Verlag (2020). So zeigen Sie Mitarbeitern Ihre Wertschätzung – Erklärung & Tipps. Raab Verlag. https://www.raab-verlag.de/magazin/wertschaetzung-mitarbeiter/
Sagstetter, K. (2019). Mitarbeiter wertschätzen – Aber wie?. In F. C. Brodbeck (Hrsg.), Evidenzbasierte Wirtschaftspsychologie, 28. Ludwig-Maximilians-Universität München.
Semmer et al. (2014). Illegitimate tasks as a source of work stress. Work & Stress, 29(1), 32-56.
Moore (2022). The 5 languages of appreciation at work. Forbes. https://www.forbes.com/sites/karlmoore/2022/04/18/the-five-languages-of-appreciation-at-work/
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