Virtuelles Coaching – eine echte Alternative?

Den jüngsten Digitalisierungsboost hat bekanntlich die Covid-19-Pandemie verursacht, doch die Welt war schon davor weitestgehend digital. eLearning und webbasierte Trainings, virtuelle Meetings sind gekommen, um zu bleiben. Aber wie funktioniert ein virtuelles Coaching per Telefon oder Webmeeting? Wir geben Ihnen Einblicke aus unserer langjährigen Praxis!

Unter Business Coaching versteht man im Allgemeinen einen zeitlich begrenzten personenzentrierten Beratungs- und Begleitungsprozess von Einzelpersonen oder Gruppen. Dabei unterstützt ein Coach einen Coachee in fachlich-sachlichen und/oder psychologisch-soziodynamischen Fragen beziehungsweise Problemstellungen. Ein solches Gespräch zielt vor allem auf eine Förderung der Selbstreflexion, Selbstwahrnehmung und der Stärkung der Selbstmanagementkompetenzen ab. Coachingprozesse bestehen häufig aus einer Abfolge von 2 – 8 Terminen, um aktuelle Herausforderungen zu meistern; oder auch aus regelmäßigen Terminen mit supervidierendem Charakter. Klassisch ist dabei das persönliche 4-Augen-Setting.

Coaching im virtuellen Setting

Bei der Betrachtung der immer breiter werdenden Coachingangebote am Markt fallen einem vermehrt auch virtuelle Coachingangebote auf. Das persönliche Setting wird dabei durch ein technisches Setting ersetzt – ein Medium wie zum Beispiel Telefon oder MS Teams wird dabei zum virtuellen Coachingraum. Im einfachsten Fall nur mit Tonübertragung; in technisch ausdifferenzierten Settings, auch mit Videozuschaltung.

Aber kann das wirklich funktionieren? Für Coachingprozesse wird allgemein ein hohes Maß an Vertrauen zwischen Coachee und Coach vorausgesetzt. Lässt sich dies in einem virtuellen Gespräch realisieren und etablieren? Wird der fehlende physische Kontakt in diesem Zusammenhang zum Nachteil? Oder wird die fehlende visuelle Ablenkung gegebenenfalls sogar zum Vorteil?

Virtuelles Coaching – 7 Vorteile

Die Idee, ein virtuelles Coaching abzuhalten, erscheint auf den ersten Blick attraktiv. Als Vorteile von virtuellen Coachingangeboten gelten:

1. Zeiteffizienz

An- und Abreise entfallen in Bezug auf das virtuelle Coaching. Das Coaching kann damit sehr zeiteffizient erfolgen.

2. Kosteneffizienz

Anschließend an den ersten Vorteil, entstehen dementsprechend keine etwaigen Reise- oder Anfahrtskosten.

3. Flexibilität

Durch die gesteigerte Flexibilität sind gegebenenfalls auch flexiblere Termine oder sogar ad hoc Unterstützung in beispielsweise Krisensituationen denkbar.

4. Bequemlichkeit

Die Teilnahme am Coaching erfolgt sehr häufig direkt von zu Hause. Damit kann von einer vertrauten Atmosphäre ausgegangen werden.

5. Ortsungebundenheit

Coachingtermine sind auch bei Reisetätigkeit oder Auslandsaufenthalten wie gewohnt einhaltbar.

6. Konzentration

Die visuelle Ablenkung von Coach und Coachee entfallen aufgrund der gewohnten Umgebung.

7. Anonymität

Die fehlende direkte Anwesenheit eines Gegenübers schafft einen Raum der Anonymität für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Bei diesen Argumenten stehen aus unserer Sicht vor allem die Zeit-, Kosten- und Flexibilitätsargumente im Zentrum. Es wird möglich – auch im Sinne der Kundinnen und Kunden – ressourcenschonend zu agieren, beispielsweise bei sehr dezentralen Organisationen, bei denen man etwa flächendeckend in einem gewissen Gebiet ein Coaching anbieten will. Ein Zusatzargument, das die kostenintensive Unterstützungsform „Coaching“ etwas moderater erscheinen lässt.

Virtuelles Coaching – 5 Nachteile

Wo es Vorteile gibt, gibt es auch Nachteile. Das Setting des klassischen Coachings (das 2er Gespräch face-to-face) wird schließlich radikal verändert. Dabei seien exemplarisch erwähnt:

1. Vorurteile

Unserer Einschätzung nach ist virtuelles Coaching nicht genauso anerkannt wie die persönliche Coaching-Variante. Coaching wird noch immer mit einem klassischen bilateralen Setting verbunden. Akzeptanz ist hier jedoch Voraussetzung für die Wirksamkeit. Das persönliche Coaching hat in den Augen vieler noch immer eine höhere Wertigkeit.

2. Ablenkungen

Dort, wo die räumliche Distanz gegebenenfalls für Fokus sorgen kann, kann sich auch neuer Raum für Ablenkungen auftun. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Arbeitsumgebung nicht die Ruhe und technische Ausstattung bietet, um störungsfrei teilzunehmen.

3. Fehlender Blickkontakt

Durch die fehlende gemeinsame Anwesenheit in einem Raum entfällt der Sichtkontakt und die Einbeziehung der Körpersprache. Dies kann in gewissen Situationen dazu führen, dass Vertrauen weniger leicht aufgebaut werden kann.

4. Fehlende Krisenintervention

Im Falle belastender Situationen oder psychischer Krisen ist die Intervention virtuell weitaus schwieriger als in einem persönlichen Setting.

5. Reduziertes Methodenspektrum

Was sich für uns jedoch als größter Nachteil herausstellt, ist ein stark reduziertes Methodenspektrum. „Fragen zu stellen“ ist schließlich nur eine Interventionstechnik von vielen. Interventionen, die räumliche Aktionen des Coachees verlangen (beispielsweise Systembrett, inneres Team, Teufelskreis, …) sind im virtuellen Setting nicht möglich.

Neben der prinzipiellen Akzeptanz des Mediums (Telefon, online) ist auch eine entsprechende Medienkompetenz (zum Beispiel Erfahrung mit Telefonkonferenzen, …) eine Grundvoraussetzung für das virtuelle Coaching. Das Verhalten mit virtuellen Coaching-Situationen (wie zum Beispiel Intonation, bildhafte Ausdrucksweise, …) sollte vorab gezielt trainiert werden.

Ist virtuelles Coaching effektiv?

Virtuelles Coaching ist ein Kind unserer Zeit und hat im Methodenkanon der Personalentwicklung sicher seine Berechtigung. Es folgt dabei aber einem anderen Paradigma: Anstelle der direkten, personenzentrierten Coaching-Sitzung mit seiner sehr intensiven Interaktionsqualität tritt ein zeiteffizientes, aber gleichzeitig distanzierteres Gesprächsformat. Auch dies kann als „Coaching“ im Sinne der grundsätzlichen Ausrichtung und Gesprächstechnik benannt werden; es unterscheidet sich aber sehr deutlich vom Original. Effizient scheint virtuelles Coaching von vornherein zu sein, aber ist es auch effektiv?

Die wenigen vorhandenen Vergleichsstudien zeigen, dass man allgemein von keinen beziehungsweise kaum vorhandenen Unterschieden zwischen „persönlichem Coaching“ und „Distance Coaching“ ausgehen kann. Zwar ist die generelle Akzeptanz bei nicht allen Coachees gegeben (sprich: nicht jeder würde es für sich selbst wollen), dennoch muss man bei jenen, die die Bereitschaft dafür aufbringen, davon sprechen, dass Telefoncoaching ebenso effektiv wie das klassische Coaching ist. Es sind laut Studien keine signifikanten Qualitätsunterschiede aus Sicht der Coachees feststellbar.

Ein Resümee

Unser persönliches Resümee aus dem Studium vieler Artikel und unserer eigenen Praxiserfahrung: Virtuelles Coaching oder „Distance Coaching“ kann vor allem in zwei Anwendungsfällen sehr gut eingesetzt werden:

  • Für punktuelle coachingähnliche Gespräche wie beispielsweise Transfergespräche im Rahmen eines 360-Grad-Feedbacks oder Rückmeldegespräche im Rahmen einer Potenzialanalyse. Hier wird meist ein etwas strukturierterer Gesprächsverlauf genutzt. Es handelt sich oft um einmalige Termine, die einen individuellen Beschäftigungsprozess beim Coachee unterstützen sollen.
  • Als Interimstermine in längerfristigen Coachingsprozessen, die auf einer schon etablierten Vertrauensbeziehung aufsetzen. Zur Zwischenreflexion, zur Überbrückung auf Dienstreisen oder um zeitlich flexibel zu sein.

Längerfristige Coachingprozesse im engeren Sinn erscheinen jedoch weiterhin rein virtuell weniger zielführend zu sein. Man nimmt dem Coaching einen breiten Teil des Methodenreportoires; und dem Coach nimmt man Möglichkeiten, den Coachee zu erleben und diesem Feedback zu geben.

Aber betrachten wir Coaching nicht nur in Bezug auf die Effizienz der Durchführung, sondern vielmehr als reflexive Auszeit, die man sich bewusst nimmt. Ein „Szenenwechsel“ in ein ruhiges, dafür reserviertes Coachingzimmer verschafft oft erst den dafür nötigen Denkraum, den Alltag zu beurteilen.

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