Mit dem ChatGPT Moment im Herbst 2022 begann eine neue Ära, in der Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt auch für die breite Öffentlichkeit spürbar wurden. Mensch und Maschine werden in der Arbeitswelt immer stärker miteinander vernetzt. Wir interagieren täglich mit KI-Systemen, wie DeepL für Übersetzungen oder ChatGPT für Textbearbeitungen, die uns dabei unterstützen, unsere Arbeitseffizienz zu steigern. Bei der Online-Fachtagung „AWO-Psychologie 2024“ tauchten Ada Sil Patterer und Ines Röhrle in das Thema KI in der Arbeitswelt ein und teilen mit Ihnen im folgenden ihre fünf wichtigsten Learnings.
So wie einst die Verwendung von Taschenrechnern vor allem im Bildungsbereich kontrovers diskutiert wurde, spaltet auch die Nutzung von KI-Systemen die Meinungen. In der Arbeitswelt sehen wir eine ähnliche Polarisierung – von positiven Hoffnungen über ihre unterstützende Funktion bis hin zu Befürchtungen bezüglich der Arbeitsplatzsicherheit. KI-Systeme haben zweifellos relevante Auswirkungen auf Gesellschaft und Unternehmen. Wir müssen uns jetzt und zukünftig auf das Unbekannte einstellen. Dabei gilt es, KI zu verstehen, ihre Chancen zu nutzen und gleichzeitig ihre Risiken zu minimieren.
Quelle: DALL-E (ChatGPT4), erstellt am 19.01.2024; prompt: please create a picture of an online conference: the topic is on psychology and ai.
Hinweis: DALL-E hat aktuell noch kein spezifisches Textverständnis, daher kommt es häufig zu verzerrten oder unverständlichen Ergebnissen beim Darstellen von Text in Bildern.
Learning #1: Der Mensch wird in der Arbeitswelt nicht durch die KI ersetzt
ChatGPT halluziniert immer und kann die Realität nur unzureichend darstellen. Der Mensch muss daher bei KI-basierten Denk- und Entscheidungsprozessen „in the loop“ bleiben. Die Nutzung von KI zur Unterstützung unternehmerischer Entscheidungen ist ein umstrittenes Thema. KI-Systeme basieren auf Algorithmen und folgen starren Abläufen, während Menschen Probleme unter flexibler Anwendung von Strategien, Hintergrund- und Kontextwissen, mentalen Faustregeln (sog. Heuristiken) und mit einem persönlichen Interesse lösen. Zudem beruhen viele Entscheidungsfindungsprozesse im alltäglichen Leben auf Aushandlungsprozessen zwischen Personen und bestimmten Interessensgruppen. Derartige Prozesse können nicht formalisiert und automatisiert werden.
Ein Beispiel für die Nachteile von KI in der Arbeitswelt zeigt sich im Fall der Personalrekrutierung bei Amazon. Mit dem Ziel, den Einstellungsaufwand zu reduzieren, griff das Unternehmen auf Machine Learning zurück, basierend auf Daten von Bewerberinnen und Bewerbern der letzten zehn Jahre. Allerdings waren diese Daten durch stereotype Verzerrungen gegen Frauen beeinflusst, da sie hauptsächlich von männlichen Bewerbern stammten. Obwohl KI bei der Vorauswahl in Bewerbungsverfahren unterstützen kann, bleibt es entscheidend, dass die endgültige Entscheidung von Menschen getroffen wird.
Das folgende Learning stammt aus dem Konferenzbeitrag „Über die Unterstützung von Denk- und Entscheidungsprozessen durch Digitalisierung“ von Margit Pohl.
Learning #2: Der Einsatz von KI-Systemen ist auch eine Frage von Vertrauen
Für eine effektive Förderung des Vertrauens in die Zusammenarbeit mit Maschinen ist entscheidend, dass sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen neuer Technologien klar an Laien vermittelt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass KI-Systeme und Roboter in der Lage sind, nachvollziehbare Erklärungen für ihre Entscheidungen und geplanten nächste Schritte zu liefern, was dem internationalen Ruf der Forschungsgemeinschaft nach einer erklärbareren KI („Explainable AI“) entspricht. Dies soll dazu beitragen, ein angemessenes Vertrauensniveau in KI zu entwickeln, um auch Fairness-Aspekte beurteilen zu können.
Zudem gilt es in der breiten Öffentlichkeit ein tieferes Verständnis für Robotik und KI zu etablieren und gängige KI-Mythen zu entkräften. Indem Wissen und Kompetenzen im Bereich KI gestärkt werden, sollen vor allem technisch weniger versierte Personen befähigt werden, zu erkennen, wo KI eingesetzt wird, was KI tatsächlich ist und auch in ethischer Hinsicht zu wissen, wer die Verantwortung für diese Technologien trägt.
Die Inhalte des zweiten Learnings beziehen sich auf die Inhalte des Konferenzbeitrags „Wie das Teamwork mit KI und Robotern klappt“ von Martina Mara.
Learning #3: Ohne digitale Grundkompetenzen ist ein sinnvolles Wirken nicht möglich
KI ist im Alltag angekommen: vom Assistenzsystem auf dem Smartphone bis zum Sprachdialog im PKW oder dem ChatBot beim Kundendialog. Insbesondere die Industrie 4.0, also die „intelligente“ Fabrik, in der die Produktion von Grund auf durch Digitalisierungsprojekte revolutioniert werden, profitiert von KI. Hochmoderne Produktionsstätten, die digitale Technologien nutzen, sind nicht menschenleer und durch Industrie 4.0 können diese wieder nach Europa rückverlagert werden. Der Mensch steht bei der KI aber im Mittelpunkt, weil er nicht ersetzt, sondern in seinem Handeln unterstützt werden soll.
In der Industrie 4.0 legt der Mensch das Arbeitstempo fest, Arbeitsplätze werden individuell angepasst, und die Teamarbeit wird unterstützt. Dabei sind digitale Grundkompetenzen unerlässlich, um in der Industrie 4.0 effektiv zu arbeiten. Weiterbildungsmaßnahmen über das gesamte Erwerbsleben und das kontinuierliche Lernen am Arbeitsplatz sind entscheidende Erfolgsfaktoren für die Bereitstellung intelligenter Dienstleistungen in der Industrie 4.0.
Der Inhalt dieses Learnings stammt aus dem Konferenzbeitrag „Industrielle KI: Der Mensch im Mittelpunkt von Industrie 4.0“ von Wolfgang Wahlster.
Learning #4: Beschäftigte müssen Einfluss auf die Nutzung von KI-Systemen haben
Unumstritten hat der Einsatz von KI-Systemen einen Einfluss auf die Arbeitsgestaltung. Entsprechend beeinflusst die KI, welche Arbeitsressourcen und Arbeitsanforderungen in Hinblick auf Tätigkeits-, Wissens- und soziale Merkmale, verfügbar sind. Die Art und Weise der Arbeitsgestaltung ist wiederum wichtig für Folgen wie die Motivation und das Wohlbefinden der Beschäftigten.
Bisherige Forschung konzentrierte sich vor allem auf Plattformarbeit und einfache Tätigkeiten, bei denen algorithmische Managementfunktionen tendenziell negative Auswirkung hatten, wie beispielsweise eine Reduktion der Bedeutsamkeit, Aufgabenvielfalt und Autonomie sowie eine Intensivierung der Arbeit. Algorithmische Managementfunktionen wurden früher vor allem von Führungskräften übernommen, wie z.B. das Aufzeichnen von Arbeitstätigkeiten. Jedoch können KI-Systeme auch unterstützend wirken, insbesondere dann, wenn sie gut in die Arbeitsabläufe integriert sind und die Beschäftigten Einfluss auf deren Nutzung haben. Dies umfasst Mitspracherechte der Beschäftigten, die Möglichkeit, das System nicht zu nutzen, Rückmeldung zum System zu geben, sowie die Freiheit, selbst über die Nutzung zu entscheiden.
Dieses Learning bezieht sich auf den Konferenzbeitrag „Künstliche Intelligenz als Arbeitsgestalterin? Die Auswirkungen von KI auf die Arbeitsmerkmale von Beschäftigten“ von Bettina Kubicek.
Learning #5: Technologische Arbeitslosigkeit durch KI war immer der Plan?
Einerseits gab es nie eine bessere Zeit für Beschäftigte mit spezialisierten digitalen Kompetenzen oder für diejenigen, die sich solche Fähigkeiten schnell aneignen können. Andererseits war es für Beschäftigte mit eher allgemeinen Fertigkeiten nie herausfordernder, da Computer und Roboter zunehmend in der Lage sind, „Routine“ Kompetenzen zu erlernen. Die fortschreitende Automatisierung durch KI in der Arbeitswelt ruft sowohl Ängste als auch Hoffnungen und viele Fragen hervor. Eine Herausforderung besteht darin, dass viele Beschäftigte unsicher über die Auswirkungen von KI auf ihre Arbeitsplätze sind und besser aufgeklärt werden müssen. Denn Erwartungen beeinflussen das gegenwärtige Handeln. Eine Studie mit einer jungen, geistig arbeitenden Stichprobe über ihre Erwartungen in 5-10 Jahren zeigt, dass zwar bei KI bei einigen Angst auslöst, aber nur wenige davon hoffnungslos gestimmt werden. Die positivste Erwartung ist die Zunahme an Selbstwirksamkeit, wohingegen die negativste Erwartung eine Zunahme an Stresserleben ist.
Historisch gesehen hat der technologische Fortschritt oft die menschliche Arbeitskraft ersetzt, angefangen mit dem Einsatz von Tieren in der Landwirtschaft. Diese Entwicklung fand ihre Fortsetzung in der Industrialisierung durch die Einführung von Maschinen in Fabriken. In der heutigen Zeit wird dieser Trend durch die Implementierung von KI-Systemen weitergeführt. Dieses Phänomen wird von Floridi (2014, S. 146, 147) treffend beschrieben: „Die technologische Arbeitslosigkeit ist das, was wir die ganze Zeit geplant haben. […] Zivilisation bedeutet auch die Freiheit, ein Couch-Potato zu sein.“
Das fünfte Learning entstand aus den Inhalten des Konferenzbeitrags „Künstliche Intelligenz als Arbeitsgestalterin? Die Auswirkungen von KI auf die Arbeitsmerkmale von Beschäftigten“ von Jens Nachtwei.
Quo vadis Arbeitswelt?
In einem waren sich alle Expertinnen und Experten einig: Wir besitzen leider keine Glaskugel, um in die Zukunft blicken zu können. Wir wissen nicht, wie die Welt in zehn Jahren durch Fortschritte in der KI und Digitalisierung aussehen wird. Wir können nur hoffen, dass es uns gelingt, eine Arbeitswelt zu schaffen, die technologisch fortschrittlich als auch menschlich bleibt. Oder, um es in den Worten von Blonder Engel aus seinem A Liadl, ans üwa KI zu sagen:
Jo wos is eigntlich a KI
In Woahrheit a Technologie
So simpl des klingt
Und wohi uns des bringt,
Entscheidn am End du und i.
Als Expertinnen und Experten für Mitarbeiterbefragungen und 360-Grad Feedbacks begleiten wir Sie bei der Bewertung Ihrer aktuellen Unternehmens- und Führungskultur im Umgang mit Digitalisierung und KI. Kontaktieren Sie uns gerne, um zu erfahren, wie Ihr Projekt mit vieconsult aussehen könnte!
Hinweis: Alle oben erwähnten Inhalte stammen aus Fachbeiträgen der vortragenden Expertinnen und Experten im Rahmen der 2. Fachtagung „AWO-Psychologie 2024“ am 19.01.2024. Bitte beachten Sie, dass die Zusammenfassungen in Form von Learnings von vieconsult erstellt wurden und nicht notwendigerweise die Ansichten der referierenden Expertinnen und Experten repräsentieren. Diese Veranstaltung wurde von der Österreichischen Akademie für Psychologie (ÖAP) in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) organisiert.
Floridi, L. (2014). Technological unemployement, leisure occupation, and the human project. Philosophy & Technology, 27, 143-150. doi.org/10.1007/s13347-014-0166-7
Nachtwei, J. (2023). Engineering Psychology HAI (human-AI interaction) [PowerPoint slides]. doi.org/10.13140/RG.2.2.20003.84009
Nutzen Sie unsere Expertise!
Das Thema dieses Beitrags interessiert Sie? In unserem vieJournal-Newsletter teilen wir mit Ihnen regelmäßig Praxistipps und Praxiserfahrungen aus unserem Projektalltag. Bleiben Sie am Laufenden!
Newsletter abonnieren